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French Open / Roland Garros
Clochards und Tennisstars
"Patte de Lapin" ist ein Clochard. Er hat keine feste Bleibe. Er lebt auf der Straße und schläft in Hinterhöfen, im Winter auf Belüftungsschächten der Metro. Sein Lieblingsrevier ist die Rue Mouffetard und der Place de la Contrescarpe. Mit einer Flasche Roten oder zwei oder drei bringt er den Tag herum. Nur einmal im Leben landete er einen kleinen Coup. Im Lotto. Mit dem Geld kaufte er zwei prachtvolle Ackerpferde. Doch die Flics fanden die Gäule auf dem idyllischen Platz im Herzen von Paris nicht lustig und pfiffen den Tierfreund zurück. Und so war halt alles wie zuvor, und Patte de Lapin wieder in seiner armseligen Welt. Auch die Tennisstars haben in Paris ihr Revier. Das Stadion Roland Garros an der Porte d'Auteuil. Zwei Wochen lang kämpfen sie da ums überleben. Aber nur auf „terre battue", dem roten Sand - nicht auf kaltem Asphalt in den Straßen von Paris. Und wer das sieben Mal schafft, kommt zu Ruhm und Ehre und einem Haufen Geld. Mal schnell eine knappe Million kriegt der Sieger für ein paar Stunden Tennis-Maloche. Na ja, Tennis ist schon eine der vielen Möglichkeiten, das Leben zu ertragen. Und nicht nur, weil selbst schlechte Auftritte noch fürstlich entlohnt werden. Ein Versager der ersten Runde in Paris kassiert schnell mal so zehn Mille und fährt zum nächsten Turnier.
Überhaupt: Der gute Patte de Lapin hat ja keine Ahnung, wie Tennisstars verhätschelt werden. „Pas de probleme", wenn Martina Navratilova ihr putziges Killerhündchen und Arantxa Sanchez-Vicario einen ihrer beiden Pinscher, der ein mit dem Namen „Roland", der andere „Garros", zum Zeitvertreib ins Stadion mitgebracht haben. Und ein Auto mit Chauffeur für zwei Wochen gibt es auch umsonst, wenn man Agassi, Federer oder Serena Williams heißt.
Auch steigen die verwöhnten Topspieler nicht irgendwo ab. Ein Luxushotel muss es schon sein und da eine noble Suite, die dann aber meistens wie ein Zigeunerlager aussieht, weil Tennistaschen, Schlägerbags, Schuhe und Klamotten kreuz und quer herumliegen. Normalität ist im Profitennis weitgehend ein Fremdwort. Wer sich daneben benimmt, bezahlt eben mit Geld. Martina Navratilova, zum Beispiel, die einmal, nach einer ärmlichen Vorstellung in der ersten Runde, den Schläger zerhackt hatte, "zur Strafe" etwa soviel wie eine Verkäuferin im Lafayette im Monat verdient. Was soll's? Sie haben es ja reichlich, die Profis.
Ein Medvedev kam als armer Schlucker vor vielen Jahren aus Russland. Schon mit neunzehn Jahren holte er seine damalige Freundin Anke ( Huber ) im 911er ab.
Eine Scheinwelt in der die Topspieler leben. Sie fahren nach Paris, spielen Tennis und hauen wieder ab. Für die schöne Stadt haben sie keine Zeit. Aber sie kommen ja wieder, wenn Tennis nicht mehr „lebenswichtig" ist, und vielleicht dann auch zufällig in das schöne Revier des guten Patte de Lapin.
Eberhard Pino Mueller
publiziert: Juni 1994 DTZ - Deutsche Tennis Zeitung
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